Über die Verkettung von Ereignissen, menschliche Faktoren, einen folgenschweren Fehler und Unsicherheit bzgl. TCAS lesen Sie hier:
1. Eine ungewöhnliche Nachtschicht am ACC Zürich am 1. Juli 2002
1.1. Schichtbeginn
Als die Fluglotsen ihre Nachtschicht am Area Control Centre Zürich (ACC Zürich) am 1. Juli 2002 begannen, hätten sie sich zu den Sektorisierungsarbeiten belesen können, die in dieser Nacht vorgenommen werden sollten, um die Sektoren im entsprechenden Luftraum neu einzuteilen. Obwohl dafür Zeit vorgesehen gewesen war, lasen die Fluglotsen das Material nicht.
Später kam heraus, daß dies keine Konsequenzen hatte und den Verlauf der Ereignisse nicht verändert hätte, weil das Informationsmaterial keine Details darüber enthielt, wie die Kontrollsysteme durch die Arbeiten beeinträchtigt würden.
Das ACC Zürich ist für einen Luftraum verantwortlich, der auch den deutschen Teil der Bodenseeregion mit einschließt. Tagsüber ist dieser Luftraum eine der meistbenutzten Luftverkehrskreuzungen in Zentraleuropa. Nachts dagegen reduziert sich der passierende Luftverkehr erheblich.
1.2. Peter Nielsen bleibt als alleiniger Fluglotse zurück
Lange Pausen während der Nachtschicht wurden vom oberen Management toleriert
Peter Nielsen, ein 35jähriger, in Dänemark geborener Fluglotse, mußte die Kontrolle über den Luftraum alleine bewältigen als sein Kollege sich zu einer verlängerten Pause zurückzog. Diese Pausen waren während der Nacht zu einer Norm am ACC Zürich geworden, wenn der Luftverkehr im zugehörigen Luftraum gering ist. Das Management des ACC Zürich hatte von diesen Pausen Kenntnis und hatte sie seit Jahren toleriert.
Die simultane Arbeit an zwei Kontrollstationen und in zwei Rollen
Nielsen mußte zwei Arbeitsstationen alleine überwachen. An der ersten fuhr er damit fort, den durch den Luftraum passierenden Luftverkehr zu überwachen. An der zweiten wurden Flugzeuge zum Flughafen von Friedrichshafen geleitet.
Es ist üblich, daß zwei Fluglotsen zusammen als Ausführender am Radar (engl. radar executive, RE) und als Planer am Radar (engl. radar planner, RP) arbeiten. Während der erste im Kontakt mit den Crews ist, plant der zweite zum Beispiel für die Maschinen voraus, die in den Luftraum hineinfliegen werden. Er stellt sicher, daß der RE keine Überraschungen erleben wird. Zusätzlich arbeiten die beiden Fluglotsen als Team und überwachen gegenseitig ihre Aktionen.
Aus Sicht des CRM ist dies ein Beispiel für das Gegenchecken und die Nutzung des Vier-Augen-Prinzipes. Da er alleine arbeitete, hatte Peter Nielsen diese Unterstützung spät in der Nacht nicht.
1.3. Das Wartungspersonal traf am ACC Zürich ein
Techniker kamen auf Nielsen zu und erklärten ihm, daß sie am Hauptradarsystem arbeiten würden und daß seine Arbeitsstation im Backup-Modus sein würde. Später kehrten sie zu ihm zurück und ließen ihn wissen, daß sie auch an der Telephonanlage arbeiten würden, welche sich ebenfalls im Backup-Modus befinden würde.
2. Zwei Flüge waren auf dem Weg in den Luftraum
2.1. Flug BTC2937 von Moskau nach Barcelona
Die Piloten des Bashkirian Airlines Fluges BTC2937 waren am Moskauer Flughafen Domodedowo um 20:40 Uhr lokaler Zeit gestartet. Sie waren auf dem Weg nach Barcelona. Die Maschine beförderte, neben weiteren Passagieren, 45 Schulkinder. Für den Flug wurde eine Tupolev TU154M eingesetzt. Um 21:06 Uhr (MEZ) befand sie sich in Reiseflughöhe über Österreich.
2.2. Flug DHX611 von Bergamo nach Brüssel
Die Crew des DHL-Fluges DHX611 war in Bergamo gestartet und auf dem Weg nach Brüssel. Es war ein Cargo-Flug, für welchen eine Boeing 757-200 verwendet wurde.
Um 21:21 Uhr nahmen die Piloten Kontakt zum Fluglotsen am ACC Zürich auf. Sie erbaten die Erlaubnis auf eine Flughöhe von 36 000 Fuß zu steigen. Peter Nielsen antwortete ihnen, daß sie die Erlaubnis in vier bis fünf Minuten erwarten sollten und fügte hinzu, daß er weiteren Verkehr zu leiten habe.
Anmerkung: die Kontrollstreifen (Papierstreifen mit Informationen zu jedem Flug), die der Fluglotse vor sich hatte, enthielten keine Information darüber, daß die beiden Flugzeuge sich in einer Konfliktsituation befanden (1).
1 ) Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, BFU, German Federal Bureau of Aircraft Accidents Investigation (May 2004): Investigation Report, AX001-1-2/02, Seite 75
3. Ein weiteres Flugzeug mußte geleitet werden
3.1. Flug AEF1135 war dabei, am Flughafen von Friedrichshafen zu landen
Um 21:25 Uhr erhielt Peter Nielsen einen weiteren Kontrollstreifen. Er kündigte einen unerwarteten, verspäteten Flug an, welcher im Begriff war, am Flughafen von Friedrichshafen zu landen. Deshalb mußte er zur zweiten Arbeitsstation wechseln, um den Flug AEF1135 zu leiten. Er versuchte, die Fluglotsen im Tower des Flughafens Friedrichhafen anzurufen, um ihnen den anfliegenden Airbus anzumelden. Doch er kam mit seinem Anruf nicht durch.
Weil er immer noch zehn Minuten übrig hatte, bis der Airbus in Friedrichshafen landen würde, wechselte er zurück an die erste Arbeitsstation. Dort wies er Flug DHX611 an, auf die Flughöhe von 36 000 Fuß zu steigen.
3.2. Die Aufgaben verflochten sich miteinander und wertvolle Minuten gingen verloren
Peter Nielsen kehrte zu seiner zweiten Arbeitsstation zurück und versuchte, die Fluglotsen in Friedrichshafen zum zweitenmal zu kontaktiern, was erfolglos blieb. Noch bevor er eine Lösung ausarbeiten konnte, funkte die Crew von Flug BTC2937 das ACC Zürich an und berichtete ihren Eintritt in den Luftraum auf einer Flughöhe von 36 000 Fuß. Nielsen rollte auf seinem Bürostuhl zur ersten Arbeitsstation zurück und bat sie, ihre Mitteilung zu wiederholen.
Fast gleichzeitig funkte die Crew von Flug AEF1135 das ACC Zürich erneut an. Nilsen wechselte zu seiner zweiten Arbeitsstation und rief Friedrichshafen zum drittenmal an ohne durchzukommen. Daraufhin funkte er die Crew im Airbus direkt an und bat sie, Kontakt mit Friedrichshafen herzustellen, da er seine Telephonverbindung verloren hatte.
4. Ein kurzer Exkurs: Was ist TCAS?
Das System zur Warnung vor anderem Verkehr und zur Kollisionsvermeidung, auf englisch Traffic Alert and Collision Avoidance System, TCAS, ist in Flugzeugen installiert. Wenn ein anderes Flugzeug, welches ebenfalls mit TCAS ausgestattet ist, zu nahe heranfliegt, warnt TCAS die jeweiligen Piloten mit den Worten „Traffic, Traffic“. Daraufhin bietet es der Crew einen Rat zur Lösung der Situation an, engl. resolution advisory, RA. Dafür wird die Crew der einen Maschine angewiesen zu steigen („climb, climb“), wohingegen die andere die Worte „descend, descend“ zu hören bekommt. Im Cockpit befindet sich auch eine kleine Anzeige für TCAS, auf welcher die Informationen visuell dargestellt werden.
TCAS ist dazu gedacht, ein weiteres Sicherheitsnetz zu bieten. Flugzeuge sollten primär immer so gut voneinander separiert werden, daß sie sich gar nicht so nahe kommen, daß das System aktiviert wird. Jedoch kommen Unterschreitungen der Sicherheitsabstände dennoch vor. Wie wir später sehen werden, war das System 2002 immer noch neu, und die Regeln dazu, wie es zu verwenden ist, waren noch nicht international standardisiert worden.
5. Die letzten Minuten vor der Kollision
5.1. TCAS warnte die Piloten
In der Boeing 757-200 begann TCAS die Piloten mit dem typischen „Traffic, Traffic“ vor kreuzendem Verkehr zu warnen. Als Lösung gab es ihnen vor, einen Sinkflug einzuleiten. Die beiden Piloten folgten dieser Instruktion.
In der Tupolev TU154M begann TCAS genau zur selben Zeit zu tönen. Es wies die Crew an, zu steigen.
Fast gleichzeitig und ohne Kenntnis von der Aktivierung des TCAS hatte Peter Nielsen wieder an seine erste Arbeitsstation zurückgewechselt und erkannt, daß eine akute Situation entstanden war. Er konnte nun sehen, daß die beiden Flüge DHX611 und BTC2937 sich auf derselben Flughöhe schnell näherkamen. Eine Verringerung der Separation war bereits eingetreten.
Das Warnsystem „Short Term Conflict Alert“, STCA, welches ein Sicherheitsnetz darstellt und die Fluglotsen vor Verringerungen der Separation warnt, stand Nielsen aufgrund der andauernden Sektorisierungsarbeiten nicht zur Verfügung.
5.2. Anweisung des Fluglotsen und Verwirrung in der russischen Crew
Der Fluglotse wies die russische Crew unmittelbar an, auf eine Flughöhe von 35 000 Fuß zu sinken. Seine Instruktion erreichte diese fast zum selben Zeitpunkt, zu welchem TCAS sie angewiesen hatte, zu steigen. Folglich waren die Piloten verwirrt. Sie wußten für einen Moment nicht, was sie als nächstes tun sollten. Peter Nielsen wiederholte seine Nachricht an sie.
Obwohl ein Teammitglied im russischen Cockpit darauf hingewiesen hatte, daß TCAS ihnen angeordnet hatte, zu steigen, ließ die Crew dieses Speak up außer acht und entschied sich dazu, der Instruktion des Fluglotsen zu folgen. Sie teilte dem Fluglotsen ihren Konflikt auch nicht mit.
Die beiden Flugzeuge flogen nun mit einer Geschwindigkeit von 1300 km/h aufeinander zu.
Offensichtlich gestreßt teilte Nielsen der russischen Crew mit, daß sie kreuzenden Verkehr von ihrer rechten Seite bei zwei Uhr habe. Dies war jedoch falsch, die Cargo-Maschine näherte sich ihr von links.
5.3. Peter Nielsen wandte sich wieder dem Airbus zu
Als er sah, daß die Crew von Flug BTC2937 seiner Instruktion gefolgt und auf eine Flughöhe von 35 000 Fuß gesunken war, kehrte Nielsen zu seiner zweiten Arbeitsstation zurück und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Airbus zu. Die Crew bestätigte, daß sie Kontakt zum Flughafen Friedrichshafen aufgenommen hatte. Daher konnte der Fluglotse das Flugzeug nun übergeben.
Als er zu seiner ersten Arbeitsstation zurückkehrte, versuchte er, BTC2937 anzusprechen, doch er erhielt keine Antwort. Auf dem Radarschirm veränderte sich der Flug mit seinem Anhängeschild in einen roten Punkt. Die beiden Flugzeuge waren in fast rechtem Winkel um 21:35:31 Uhr kollidiert. Die russische Maschine war in vier Teile zerborsten. Die Boeing 757-200 hatte 80% ihres Seitenleitwerkes (der Heckflosse) verloren. Ohne dieses Leitwerk kann ein Flugzeug nicht mehr gesteuert werden. Daher trudelte Flug DHX611 unkontrollierbar dem Erdboden entgegen.
5.4. Die Bezirkskontrollstelle Karlsruhe versuchte elfmal anzurufen
Der Fluglotse in Karlsruhe hatte die beiden Flugzeuge, die auf selber Flughöhe aufeinander zuflogen, bemerkt. Er versuchte elfmal, das ACC Zürich anzurufen, doch er konnte es aufgrund der Arbeiten am Telephonsystem nicht erreichen. Nur falls der Fluglotse, der für die Maschinen verantwortlich ist, seinen Platz verlassen oder das Bewußtsein verloren hat, darf ein Fluglotse einer anderen Bezirkskontrollstelle die Flugzeuge direkt kontaktieren. Man befolgte in Karlsruhe diese Regelung.
In diesem Fall waren die Flugunfalluntersucher zu dem Schluß gelangt, daß ein direkter Kontakt höchstwahrscheinlich den Unfall nicht hätte verhindern können und nur Verwirrung gestiftet hätte. Zusätzlich wären die beiden Flugzeuge vermutlich nicht in der Lage gewesen, den Funkspruch der Bezirkskontrollstelle Karlsruhe auf der entsprechenden Frequenz zu empfangen.
6. Die Verkettung der Ereignisse bei der Flugzeugkollision von Überlingen
In der Graphik unten sind die verketteten Ereignisse der Flugzeugkollision von Überlingen benannt.
7. Welche der menschlichen Faktoren erkennen wir?
Nachfolgend werden wir diskutieren, welche der Mitglieder des sogenannten „schmutzigen Dutzends“ wir in dieser Flugzeugkollision erkennen. Wir werden ein besonderes Augenmerk auf die Flugaufsicht und auf den Flug BTC2937 richten.
7.1. Menschliche Faktoren trugen auch zu Fehlern der Flugaufsicht bei
Mangel an Ressourcen
Peter Nielsen fehlten natürlich grundlegende Ressourcen, da seine Arbeitsstationen und sein Telephon im Backup-Modus waren. Das STCA stand ihm nicht zur Verfügung. Sein Kollege hatte sich zu einer Pause zurückgezogen, weshalb Crosschecking und die Nutzung des Vier-Augen Prinzipes nicht möglich waren.
Aufgrund der Notwendigkeit, den zusätzlichen Airbus zu leiten, bestand ein Mangel an Zeit, was auch der Grund dafür gewesen war, den Kontrollassistenten nicht um Hilfe zu bitten. Zusätzlich gab es einen Mangel an detaillierter Information über die Sektorisierungsarbeiten.
Mangel an Aufmerksamkeit
Peter Nielsen erkannte zu spät, daß sich die Flüge DHX611 und BTC2937 zu nahe gekommen waren. Dies war vermutlich mindestens teilweise durch Ablenkung, Streß und Druck bedingt.
Ablenkung
Ablenkung wurde durch die zusätzliche Maschine, das Wechseln zwischen den Aufgaben und die wiederholten Telephonate, welche frustran waren, verursacht.
Streß
Streß wurde durch die Arbeit an zwei Stationen und die Aufsicht über einen weiteren, unerwarteten Flug ohne die Möglichkeit, den Tower des Flughafens in Friedrichshafen zu kontaktieren, ausgelöst. Er muß sich auf maximalem Niveau befunden haben, als Peter Nielsen auf seinem Radarschirm erkannte, daß zwei Maschinen auf derselben Flughöhe aufeinander zuflogen.
Druck
Druck existiert häufig in dynamischen Arbeitsumgebungen. In diesem Fall hatte Nielsen sich selbst unter Druck gesetzt als er zusätzliche Arbeit unter schwierigen Umständen annahm.
Normen
Normen sind Gewohnheiten, die nicht immer gewinnbringend sind. Die verlängerte Pause könnte als eine Norm am ACC Zürich gesehen werden. Dies hat nichts mit einem Mangel an Teamarbeit zu tun, die, dem Report nach, am Kontrollzentrum generell gut war.
Ein Mangel an Durchsetzungskraft kann nicht angenommen werden
Peter Nielsen bat den Kontrollassistenten, der im Kontrollraum anwesend war, nicht, die Informationen auf den Kontrollstreifen mit derjenigen auf dem Radarschirm abzugleichen. Gemäß des Investigation Reports hatte er angenommen, daß er beide Aufgaben bewältigen könne und auch erklärt, daß ein Mangel an Zeit der Grund war, warum er nicht um Hilfe bat.
Hilfe ist eine wichtige Ressource im CRM. Wir sollten unseren Bedarf dafür sorgfältig beurteilen und sie früh anfordern.
Mangel an Kommunikation
Ein Mangel an Kommunikation kann an mehreren Punkten festgestellt werden. Es fand keine präzise Kommunikation über die Sektorisierungsarbeiten statt, ganz zu schweigen von Maßnahmen, um die Systeme, die ausfallen würden, zu kompensieren. Keine der beiden Cockpitcrews kommunizierte die Aktivierung des TCAS an die Flugaufsicht. Mehrere Male mußten Crews ihre Nachrichten an den Fluglotsen wiederholen, weil der damit beschäftigt war, zwischen zwei Aufgaben hin- und herzuwechseln.
Peter Nielsens resultierende Fehler
Aufgrund der Überwachung von Flug AEF1135 und den involvierten Komplikationen, wurde die wertvolle Ressouce Zeit knapp. Im Gegensatz zu seiner Einschätzung konnte der Fluglotse die Kombination aus der Separation der Maschinen und der Leitung des Airbus, der sich im Landeanflug auf den Flughafen von Friedrichshafen befand, nicht bewerkstelligen.
Daraus resultierend bemerkte er die Verringerung der Separation zu spät. Höchstwahrscheinlich bedingt durch Streß und Druck gab er der russischen Crew die falschen Informationen zum kreuzenden Verkehr („at your two o´clock position“).
Es wird im Report erwähnt, daß Peter Nielsen nie ein Team Resource Management-Training erhalten hatte. Er hatte sich sein Wissen über menschliche Fehler während der Arbeit erworben (Seite 85).
7.2. Menschliche Faktoren beeinträchtigten auch die Piloten des Fluges BTC2937
Streß und Druck haben sich sicherlich entwickelt, als TCAS und der Fluglotse der Crew verschiedene Instruktionen lieferten. Ein Speak up eines der Teammitglieder wurde nicht gehört. Schlußendlich folgten die russischen Piloten der Anleitung des Fluglotsen.
8. Die Ursachen der Flugzeugkollision von Überlingen
8.1. Die Ursachen der Kollision gemäß des Investigation Report
Dem Report nach haben die folgenden Faktoren zu der Flugzeugkollision nahe Überlingen beigetragen:
- der Fluglotse hatte die Verringerung der Separation der Flugzeuge zu spät bemerkt
- die russische Crew hatte sich entschieden, den Anweisungen des Fluglotsen und nicht TCAS zu folgen
- am ACC Zürich waren es während der Nachtschichten zuwenige Fluglotsen aufgrund der langen Pausen
- diese Pausen waren vom Management über Jahre hinweg toleriert worden
8.2. Die Rolle des TCAS in der Flugzeugkollision nahe Überlingen
Während die Piloten des Fluges DHX611 der TCAS RA folgten, tat dies die Crew des Fluges BTC2937 nicht. Die Untersucher erfuhren aus den russischen Handbüchern, daß im Falle einer Diskrepanz die Piloten den Instruktionen des Fluglotsen Folge zu leisten hatten, was im Widerspruch zu westeuropäischen Prozessen stand.
2002 war TCAS in Europa immer noch neu, und internationale Standards existierten noch nicht. Daher half TCAS in dieser Flugzeugkollision nicht dabei, den fatalen Unfall zu verhindern.
9. Peter Nielsen
9.1. Eine Verringerung der Separation 2001
2001 war eine Verringerung der Separation unter Nielsens Kontrolle geschehen, was teilweise durch eine Fehleinschätzung von seiner Seite bedingt gewesen war. Der Vorfall war vom schweizerischen BFU (Büro für Flugunfalluntersuchungen) untersucht worden. Auch als diese Verringerung der Separation vorfiel, hatte er eine Sektion alleine zu betreuen, ohne jegliches Crosschecking durch einen weiteren Fluglotsen.
In keiner Weise wurden seine Professionalität und Fähigkeiten als solche von seiner Firma oder dem schweizerischen BFU in Frage gestellt. Als Konsequenz aus dem Vorfall wurde ein zusätzliches Hilfsmittel an den Radarmonitoren jeder Arbeitsstation installiert (Investigation Report, Seite 82).
9.2. Die Folgen der Flugzeugkollision 2002
Nach der Flugzeugkollision am 1. Juli 2002 litt Peter Nielsen an traumatischem Streß und mußte medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Er arbeitete nach dem Unfall nicht wieder als Flugloste am ACC Zürich. Davor war er seinen Kollegen und Vorgesetzten nach, die für den Investigation Report befragt worden waren, ein wirklich kompetenter und teamorientierter Fluglotse mit einer höchst professionellen Einstellung gewesen.
Wir haben viele Aspekte abgedeckt und uns die Verkettung der Ereignisse angesehen, ebenso wie die menschlichen Faktoren, die zu diesem schrecklichen Unfall beigetragen haben. Nicht jeder ist jedoch in der Lage, dieses facettenreiche Bild zu sehen, welches eine minutiöse Aufarbeitung zeichnet.
Vitaly Kaloyev, der bei dem Unfall seine Frau und zwei Kinder verloren hatte, sah in Peter Nielsen den einzigen Sündenbock. Er näherte sich dem früheren Fluglosten auf dessen Grundstück in Klothen bei Zürich am 24. Februar 2004, konfrontierte ihn mit dem Unfall und erstach ihn vor den Augen seiner Frau und seiner drei Kinder.
Im Gedenken an die 71 Opfer der Flugzeugkollsion von Überlingen
Im Gedenken an Peter Nielsen
10. Ein weiterer Fall aus der Flugaufsicht im nächsten Artikel
Die Rolle eines Fluglotsen ist höchst anspruchsvoll, wie wir in den ersten drei Artikeln dieser Serie gesehen haben. Im April werden wir einen Unfall betrachten, der sich auf der Start- und Landebahn eines Flughafens zugetragen hat. Warum konnte die Fluglotsin, die für die beiden darin verwickelten Flugzeuge verantwortlich war, ihn nicht verindern? Wir werden eine Vielzahl von beitragenden Faktoren aufdecken, vom Grundriß des Flughafens bis hin zur personellen Besetzung.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 30. März 2024
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