Über Streß und Relevanz im CRM sowie den Effekt von CRM-Trainings lesen Sie hier:
1. Der Einfluß von Streß auf einen Flug
Wie wir nachfolgend sehen werden, kann entweder Streß, der in den Flug mit hineingenommen wird, oder solcher, der durch ein unvorhergesehenes Ereignis auf dem Flug ausgelöst wird, zu einem Zwischenfall oder Flugunfall führen.
1.1. Vorbestehender Streß als Auslöser für einen Zwischenfall
Streß, den Pilotinnen und Piloten aus ihrem Leben mit zu ihrem Flug bringen, macht sich während ihrer Arbeit bemerkbar. Obwohl es von vielen Seiten gefordert wird, oder wir es von uns selbst als Teil unserer Professionalität verlangen, können wir unser Privatleben und dessen Einflüsse auf uns nicht strikt von unserem Beruf trennen.
Einen Vorfall, der zum Glück keinen Unfall zur Folge hatte, wollen wir hier exemplarisch ansehen. Streß aufgrund eines finanziellen Verlustes sowie unterbrochener Schlaf hatten dazu geführt, daß der Flugkapitän nicht voll konzentriert war, wie die nachfolgende Aufarbeitung des Zwischenfalles ergab.
Als der Pilot neben ihm, der zu dem Zeitpunkt die Maschine flog, den Kapitän nach dem Start anwies, das Fahrwerk einzuziehen, zog der Kapitän stattdessen Klappen an den Tragflächen zurück. Diese werden während des Starts und Steigfluges benötigt.
Immerhin hatte sich der Kapitän davon überzeugt, daß das Flugzeug bereits schnell genug war, um das Maneouver auszuführen zu können. Die Crew bemerkte das immer noch ausgefahrene Fahrwerk bei einer Flughöhe von 1000 Fuß (ca. 330m) und zog es ein.
1.2. Stressige Ereignisse führen zu einem Flugzeugabsturz
Am 1. Juni 2009 stürzte ein Airbus der Air France, Flugnummer 447, auf der Route von Rio de Janeiro nach Paris mitten in der Nacht in den Atlantik. Erst der Fund des Flugdatenschreibers und des Stimmenrecorders aus dem Cockpit im Mai 2011 gaben Aufschluß über die Absturzursache, aber auch über das Verhalten der Crew während der letzten Flugminuten.
Sensoren zur Bestimmung der Geschwindigkeit in der Luft (Pitot Sensoren) waren eingefroren, der Autopilot setzte aus, die Crew mußte nun manuell fliegen, ohne verläßliche Angabe zu ihrer Geschwindigkeit. Zudem wurde ein Höhenverlust von etwa 160m angezeigt, der aber artifiziell gewesen war. Dies veranlaßte den fliegenden Piloten dazu, die Maschine in einen Steigflug zu versetzen.
Er blieb bei diesem Steigflugmaneuver, das Flugzeug erreichte einen Punkt, an dem es aufgrund der Aerodynmik nicht mehr flugfähig ist, sondern zu fallen beginnt. Ein entsprechendes akustisches und visuelles Warnsignal deutete die Crew offenkundig fehl, sie schien nicht zu glauben, daß sich ihre Maschine im Fall befand.
So wurde auch die Reduktion der Flughöhe und damit Wiedergewinnung der nötigen Geschwindigkeit, um dem Flugzeug Auftrieb zu geben, nicht eingeleitet.
In der Folge konzentrierte sich die Crew auf nicht zielführende Handlungen, die Kommunikation verlor die gebotene Disziplin. Erst kurz vor dem Aufprall – und damit viel zu spät – erkannte einer der Piloten die Ursache und erforderliche Maßnahme.
Offenkundiger Streß (in der Kommunikation zu hören), verursacht durch die Ereignisse, hat in diesem Fall, neben weiteren, gewichtigen Faktoren, dazu geführt, daß die Crew das Problem nicht erkennen und lösen konnte.
Aufgearbeitet wurde der Unfall auch vom britischen Channel 4 im Jahr 2012. Dieser Film, in dem namhafte Experten zu Wort kommen, ist auf YT als „Air France Crash“ 2012 hochgeladen worden.
2. Streß ist ein wichtiges Thema im CRM
Wie Sie selbst sicher schon beobachtet haben, beeinflußt Streß unsere Teamarbeit. Die Konsequenzen können fatal sein, wie wir oben gesehen haben. Dies ist der Grund dafür, daß das Thema im CRM so ausführlich behandelt wird.
Wie im ersten Teil dieses Blogartikels angekündigt, wollen wir uns hier mit den Wechselwirkungen von Streß und den CRM-Komponenten befassen. Mit diesen Komponenten können wir auch im Streß anstehende Aufgaben strukturiert bewältigen und Fehler minimieren.
Wir wenden unsere Aufmerksamkeit dann dem allgemeinen CRM-Training und seinen Zielen sowie dem gezielten Training von Streßsitutationen in der Simulation zu.
3. Streß und die einzelnen CRM-Komponenten
3.1. Die Wechselwirkung zwischen Aufgabenverteilung und Streß
Zu guter Verteilung der Arbeitsbelastung gehören:
- Klarheit über die Aufgaben
- Klarheit darüber, wer im Team was übernehmen kann und soll
- Überblick über Aufgaben in Bezug auf die Gesamtsituation
- Überblick in Bezug auf die Zeit und den Verlauf, z. B. eines gesamten Fluges
- Überblick über den Verlauf der Aufgabenerledigung
- frühzeitige, vorausschauende Planung der Aufgabenverteilung, zeitlich und personell
- Erledigung sobald möglich, um Resourcen für Unvorhergesehenes freizuhaben
Mit geschickter Verteilung der Arbeitsbelastung erreichen wir u. a.:
- Vermeidung von unnötigem Streß durch Unklarheiten
- Vermeidung von unnötigem Streß durch mangelnde Vorbereitung
- Umschiffung mancher Klippen durch Vorbereitung, z. B. auf das zu erwartende Wetter auf einem Flug
- für solche Punkte ist dann die vorausschauende Planung von Maßnahmen möglich
- fehlende Resouren fallen frühzeitig in einer Phase auf, in der wir noch korrigieren können
- frühzeitiges Feststellen eventueller Mängel, wenn noch Zeit ist, diese zu beheben
- höhere Professionalität
- verbesserte Teamarbeit
Adäquate Verteilung der Arbeitsbelastung ist ein zentrales Thema in CRM Trainings, damit wir diese auch im Streß beherrschen.
Behalten wir im Streß gute Verteilung der Arbeitsbelastung bei, so hilft sie uns, den Überblick zu behalten und ruhig weiterzuarbeiten. Damit wird das Risiko für Fehler minimiert.
3.2. Entscheidungsfindung
Im CRM treffen wir Entscheidungen oft als Team, die oder der Teamleader trägt die Verantwortung dafür. Gerade im Streß neigen wir dazu, dabei wichtige Faktoren zu übersehen. Es fällt uns dann schwerer, Nutzen und Risiken sicher zu beurteilen. Entscheidungshilfen leisten uns somit vor allem im Streß gute Dienste.
In der Abbildung unten finden Sie Beispiele für Entscheidungshilfen und sehen, welche Aspekte diese einbeziehen.
FORDEC, von namhaften europäischen Fluglinien und in der Medizin verwendet:
- Facts: Was sind die Fakten?
- Options: Welche Optionen haben wir?
- Risks: Welche Risiken bestehen?
- Decision: Entscheidung darüber, wer was tut.
- Execution: Der Entschluß wird umgesetzt.
- Check: Reevaluation der Situation, ggf. Anpassung d. Maßnahmen.
TDODAR, z. B. von der British Airways verwendet, die „Time“ hinzugefügt hat:
- Time: Wieviel Zeit haben wir?
- Diagnose: Was ist das Problem?
- Options: Welche Optionen haben wir?
- Decide: Entscheidung darüber, wer was tut.
- Act/Assign: Der Entschluß wird umgesetzt.
- Review: Reevaluation der Situation, ggf. Anpassung d. Maßnahmen.
3.3. Unsere situative Aufmerksamkeit ist im Streß vermindert
Mit unserer situativen Aufmerksamkeit erfassen wir unsere Situation in ihrer Gesamtheit. Dazu gehören:
- räumliches Bewußtsein, beim Fliegen, aber auch im Rettungsdienst in einem Labyrinth von Wohnung
- zeitliches Bewußtsein, wie weit sind wir in einer Prozedur, wieviel Zeit haben wir noch
- Informationen aus der Umgebung, z. B. beim Fliegen das Wetter oder kreuzender Flugverkehr
- Überblick über die Aufgaben oder gerade erforderliche Handlungen
- Überblick über die Resourcen
Je nach der Konzentration, die eine Situation erfordert, läßt sich die situative Aufmerksamkeit in fünf Stufen einteilen, von ganz entspannt, z. B. wenn wir am Strand liegen, bis maximal angespannt, z. B. durch ein erschreckendes Ereignis.
Am konzentriertesten und damit am aufmerksamsten sind wir bei mittlerer Anspannung. Je angespannter wir sind, desto kürzer können wir eine gute situative Aufmerksamkeit aufrecht erhalten. Unter maximaler Anspannung ist unsere situative Aufmerksamkeit durch den damit verbundenen Streß limitiert.
Ein gutes Bewußtsein für unsere situative Aufmerksamkeit sowie die richtige Mischung aus Anspannung und Entspannung helfen uns auch, mit Streß adäquat umzugehen.
3.4. Kommunikation im Streß
Im Streß können die Ohren „zu“ sein, Bemerkungen, aber auch Warnsignale, entgehen uns. Gleichzeitig kann unsere eigene Kommunikation lückenhaft sein. Z. B. halten wir formale Sprache, wie im Funkverkehr üblich, nicht ein, sprechen schnell und undeutlich oder senden mehrdeutige Botschaften.
Sie wissen sicher, daß Mängel in der Kommunikation an etwa 70% der Flugunfälle beteiligt war. Deswegen besitzt das Thema heute große Bedeutung im CRM, und es wurden Kommunikationsregeln entwickelt, welche die Sicherheit erhöhen.
Geschlossene Kommunikationsschleifen sowie die Verwendung von unmißverständlichen Standardformulierungen helfen uns im CRM, im Streß weiterhin klare Botschaften zu senden und zu empfangen.
4. CRM bietet uns weitere wertvolle Hilfsmittel
Standard operating procedures, kurz SOPs sowie Checklisten leisten uns wertvolle Dienste. Zusätzlich gibt es noch weitere Merkhilfen, auf die wir unten eingehen werden.
4.1. SOPs und Streß
Ohne die Befolgung klar formulierter SOPs können wir kein sicheres Crew Resource Management anwenden, weder in Routinesituationen, noch in außergewöhnlichen, die Streß verursachen.
An vielen Vorfällen und Unfällen in der Luftfahrt waren Abweichungen von den SOPs mitbeteiligt. Ein Beispiel dafür sind die SOPs, die den Abbruch einer Landung fordern, wenn kein stabiler Landeanflug möglich ist, um eine unkontrollierte, folgenreiche Kollision mit dem Erdboden zu vermeiden.
Faktoren, die dazu beitragen, SOPs zu mißachten, umfassen:
- Priorität anderer Aspekte, z. B. maximale Arbeitszeit am Stück
- Selbstüberschätzung und Selbstzufriedenheit
- die Aufgabe unbedingt erledigen wollen
- Ablenkungen
- Unterbrechungen
- Streß und eingeschränkte Aufmerksamkeit
- zu hohe Arbeitsbelastung
- mangelndes Training im Gebrauch der SOP
- mangelnde Akzeptanz von SOPs in der Firmenkultur
In außergewöhnlichen, stressigen Situationen helfen uns SOPs als Leitfaden, Schritt für Schritt das ursächliche Problem anzugehen und dabei keine wichtigen Aspekte auszulassen.
SOPs für Routineabläufe helfen uns, eine Prozedur streßfrei und fehlerlos abzuarbeiten.
4.2. Relevanz von Checklisten im Streß
Stellen Sie sich vor, Sie sind einkaufen, ihr Mobiltelephon klingelt, eine Nachbarin trifft auf Sie und grüßt, gleichzeitig möchte jemand an Ihrem Einkaufswagen vorbei direkt zu dem Regal, vor dem Sie stehen. Eins nach dem anderen lösen Sie die Situation, doch was wollten Sie nochmal einkaufen? Vorbereitet wie Sie sind, zücken Sie Ihre Einkaufsliste und legen los.
Wenn wir arbeiten, geht es oft nicht viel anders zu. So dürfen wir nichts vergessen, wenn wir bei einem Fahrzeugwechsel im Rettungsdienst unser Arbeitsmaterial in das zweite Fahrzeug mitnehmen müssen.
Solche Wechsel können plötzlich nötig werden, wenn z. B. ein Einsatzfahrzeug beschädigt wurde, und natürlich soll es schnell gehen. Da wir uns schon in Ruhe nicht alle Punkte merken können, und sich dies im Streß verschlechtert, sind wir froh über unsere Checklisten.
Checklisten vermeiden Streß durch eventuell vergessene Punkte und sie helfen uns im Streß, nichts zu vergessen.
4.3. Weitere Merkhilfen
Wir sind bei einem 78 Jahre alten Patienten, ein Mundwinkel hängt, die Sprache ist verwaschen, möglicherweise liegt ein Schlaganfall vor. Die Angehörigen sind aufgeregt, einer erwähnt einen Schlaganfall vor drei Jahren, eine Angehörige hält uns im selben Moment den Medikamentenplan unter die Nase.
Damit wir nun weiter in aller Ruhe arbeiten können und an alles Wichtige denken, haben wir im Rettungsdienst einige Akronyme als Merkhilfen. So auch das folgende „FAST“ aus dem Englischen für die Untersuchung von Schlaganfallpatientinnen und Patienten:
- F für „face“, Gesicht, Lähmung der Mimik?
- A für „arms“, Arme, kann einer nicht nach vorne gehalten werden?
- S für „speech“, Sprache, wie sind die Aussprache und das Verständnis?
- T für „time“, Zeit, wann hat die Symptomatik begonnen?
Neben den in Entscheidungshilfen gelisteten Punkten, SOPs und Checklisten, helfen uns also auch einfache Merkhilfen im Streß, alle wichtigen Fakten zu beachten.
5. Allgemeines Training von CRM-Komponenten
Wie Sie bereits wissen, besteht CRM aus einigen Komponenten. Wenn man nur einmal davon liest, schwirrt einem der Kopf. Alle Konzepte bei der Teamarbeit praktisch zu beachten, erfordert also einige Übung durch wiederholte Trainings.
Wenn wir die CRM Komponenten sicher beherrschen, so wenden wir sie automatisch an und bewahren einen kühlen Kopf in stressigen Situationen.
6. Gezieltes Training von Streßsituationen in der Simulation
Eine Notlandung bei Ausfall wichtiger Systeme an Bord eines Flugzeuges? Die Rettung einer bewußtlosen Person, diesmal aber eingekeilt am Fuße einer engen Kellertreppe? Oder hoch oben im Führerhaus eines LKW?
Der Umgang mit streßinduzierenden Situationen kann in einer realitätsnahen Simulation gezielt geübt werden. Dabei kann kein Flugzeug wirklich abstürzen, und kein Patient geschädigt werden. Zudem kann die Übung so oft wiederholt werden, bis das Team sie erfolgreich meistert.
In der intensiven Nachbesprechung, dem sogenannten Debriefing, erörtert das Team gemeinsam, was erfolgreich abgearbeitet wurde und wo nachgebessert werden muß. Besonderes Augenmerk wird bei Fehlern auf deren Ursache gelegt, damit diese gezielt angepackt werden kann.
Simulationen und die darin gewonnene Sicherheit mimimieren unseren Streß erheblich, wenn wir in der Realität plötzlich mit der geübten Situation konfrontiert sind. Auch damit verringern wir unser Fehlerrisiko.
7. Mit CRM ist Streß leichter zu beherrschen
Wie wir bei der Betrachtung von Streß und seiner Relevanz im CRM gesehen haben, helfen uns in stressigen Lagen die vielfältigen CRM-Komponenten und die gezielte Kommunikation. So fällt es uns leichter, den Überblick zu behalten und als Team weiterhin unsere personellen und materiellen Resourcen zu nutzen.
Das konsequente Training der CRM-Komponenten sowie die Simulation mit ihrer detaillierten Nachbesprechung runden CRM zu einem einzigartigen Gesamtpaket ab. Damit gewappnet gelingt es uns besser, unseren Streß zu beherrschen und unsere Aufgaben erfolgreich zu erledigen.
8. In meinem nächsten Blog lesen Sie:
Wie die Mannschaft eines Airbus A380 trotz Triebwerkbrandes und multiplen Funktionsausfällen kühlen Kopf bewahrte und die Maschine erfolgreich notlandete.
Hier erfahren Sie mehr zu meinen CRM-Seminaren.
Hier finden Sie weitere Blogartikel.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 10. Mai 2021