Über die sogenannte Just Culture zum Umgang mit Fehlern lesen Sie hier:
1. Die Schaffung von Just Culture in der Luftfahrt
1.1. Die Kultur der Bestrafung und des Beschuldigens
Fehler waren nicht vorgesehen
Wie in vielen Branchen und Betrieben, herrschte auch in der Luftfahrt die Ansicht, daß Fehler nicht vorkommen dürfen. Wenn jemandem trotzdem ein Fehler unterlaufen war, so wurde sie oder er dafür verantwortlich gemacht, unabhängig vom Anteil der „Schuld“. Waren äußere Umstände beteiligt? Welche Risiken bestanden von vorneherein? Wer hatte noch zum Ergebnis des sichtbaren Fehlers beigetragen?
Diese wichtigen Fragen wurden nicht gestellt, vielmehr lag das Augenmerk auf der Suche des Sündenbockes und der Disziplinierung desselben.
Verheimlichte Fehler
Wie wir aus unserem eigenen Erleben wissen, schafft ein solcher Umgang mit Fehlern ein demoralisierendes Betriebsklima mit purer Angst vor Strafen, was dazu führt, daß wir als Betroffene in einer solchen Kultur uns mindestens sehr schwer damit tun, Fehler zu benennen und dafür geradezustehen. Nicht selten wird jemand versuchen, einen Fehler komplett zu verheimlichen.
Verpaßte Lerngelegenheiten
Zudem gehen der Organisation als Ganzes wichtige Erkenntnisse zu den Hintergründen von Fehlern verloren, entscheidende Lerngelegenheiten für alle werden verpaßt. Damit wird die positiv zu sehende Chance, einen Fehler dauerhaft auszumerzen und dadurch die Sicherheit zu erhöhen, vertan.
Etwas Entscheidendes fehlte
Die Kultur der um jeden Preis zu vermeidenden Fehler war häufig zusätzlich von einem Machtgefälle geprägt. In diesem Gesamtgefüge fand sich deshalb kein Platz für das heute im Crew Resource Management so wichtige Speak up.
In der Folge fehlten Warnhinweise zu potentiellen Risiken und ein Nachhaken, wenn jemand dabei war, etwas falsch zu machen. Noch dazu, wie sollte man wagen, wichtige Informationen weiterzugeben, wenn man schon mehrfach zurückgewiesen worden war? Dies galt lange auch, wenn eine Assistenzärztin oder Assistenzarzt sich erdreistete, die Anweisungen einer Oberärztin konstruktiv zu hinterfragen.
1.2. Die Kultur ganz ohne Bestrafung und Anschuldigungen
Trendwende in den 1990er Jahren
Die Luftfahrtindustrie erkannte, daß durch das Vertuschen von Fehlern wichtige Informationen, die zur Verbesserung der Sicherheit dringend benötigt wurden, verloren gingen. Auch wollte man die Schäden, die durch die permanente Angst und Druck entstanden waren, ausgleichen.
Nun wurden Belegschaften aufgefordert, Fehler zu melden, Risiken zu benennen und an Sicherheitskonzepten mitzuarbeiten. Verbesserungen der Flugsicherheit wurden errungen.
Zu locker darf die Atmosphäre nicht sein
Da die Fehlerbenennung eine Amnestie beinhaltete, wurden diese nun berichtet, aber generell die Organisation als verantwortlich gesehen. Die Arbeitnehmenden erwarteten, straffrei auszugehen.
Dies ging so weit, daß sogar vorsätzlich und wiederholt gefährliche Verhaltensweisen an den Tag gelegt wurden, die das Risiko eines schlechten Ergebnisses erhöhten. Man wurde ja nicht zur Verantwortung gezogen. Unnötig zu erwähnen, daß hier die Grenzen des Konzeptes lagen.
1.3. Just Culture entstand aus den gewonnenen Erkenntnissen
Wie wir gesehen haben, waren die oben dargestellten, gegensätzlichen Herangehensweisen nicht ideal. Auf den Erkenntnissen aufbauend, wurde daher Just Culture geschaffen, mit der wir uns nun genauer befassen werden.
2. Das ist Just Culture
2.1. Im Deutschen gibt es keine exakte Übersetzung
Der Begriff „Just Culture“ wurde nie ins Deutsche übersetzt. Dennoch ist das Konzept auch in der deutschen Luftfahrtindustrie bekannt. Es steht für Gerechtigkeit bei der Beurteilung und Ahndung von Fehlern sowie bei der Erforschung der Ursache. Liegt der Fehler am Einzelnen oder am System? Welche Maßnahmen sind somit nötig? Wurde der Fehler versehentlich begangen oder vorsätzlich?
2.2. Die Kennzeichen der Just Culture
Hier finden Sie die wesentlichen Merkmale der Just Culture auf einen Blick:
- eine Kultur ohne grundlose Anschuldigungen und Bestrafungen
- allen können zu jeder Zeit Fehler unterlaufen, unabhängig von ihrer Position
- alle haben klar umrissene Aufgaben und Verantwortung
- Fehler und potentielle Risiken sollen aufrichtig berichtet werden
- Speak up wird wertgeschätzt
- Fehler werden gerecht beurteilt, nach Ursachen wird gesucht
- die Ursachen werden mit geeigneten Maßnahmen soweit wie möglich beseitigt, Risiken minimiert
- nach Anonymisierung des Fehlers wird eine Lerngelegenheit für alle geschaffen
- bei Verschulden werden die Beteiligten im vereinbarten Rahmen zur Verantwortung gezogen
- grobe Fahrlässigkeit wird je nach Beruf nach den geltenden Bestimmungen geahndet, bis hin zum Verlust der beruflichen Lizenz
3. Professionalität hat Bedeutung
Eine gerechte Kultur zum Umgang mit Fehlern und Risiken bedeutet nicht, daß insgesamt eine verringerte Leistung erwartet wird.
Alle müssen ihre Aufgaben kennen und wissen, wie sie diese mit dem richtigen Wissen und Können sowie ihrer passenden Einstellung erledigen. Zusätzlich ist ihnen ihre jeweilige Verantwortung bewußt.
Gerade leistungsbezogene Menschen mit hohen Erwartungen an sich selbst empfinden es ausgesprochen unangenehm, Fehler zu machen. Was jetzt hilft ist nur die beherzte „Flucht nach vorne“, den Fehler einzugestehen, sich zu entschuldigen und ihn, wenn passend mit dem Team, konstruktiv aufzuarbeiten.
4. So etablieren wir Just Culture
Wenn wir in unserem Arbeitsumfeld Just Culture etablieren wollen, tun wir gut daran, den Prozeß in den folgenden Schritten gemeinsam zu gestalten:
- wir eruieren, welche Fehler typischerweise auftreten
- wir bleiben darüberhinaus auf Spurensuche nach weiteren Fehlern
- wir stellen fest, welche Sicherheitsrichtlinien existieren, welche wir hinzufügen wollen
- wir legen die Grenzen für akzeptables Verhalten und Fehler fest
- wir bestimmen, wie Fehler gemeldet und aufgearbeitet werden
- wir einigen uns darauf, welche Sanktionen im Einklang mit beruflichen Richtlinien für welche Fehler gelten
- wir vereinbaren, wann und wie oft über gemeldete Fehler und Maßnahmen berichtet wird
5. Wie wir den Erfolg sichtbar machen
Erfolg ist meßbar, weshalb auch wir unseren Erfolg mit unserer Just Culture für uns sichtbar machen sollten. Dazu müssen wir festlegen, wie oft wir die Anzahl und Art gemeldeter Fehler überprüfen. Zusätzlich bestimmen wir, wie wir den Erfolg unserer Maßnahmen messen wollen.
Für unsere Belegschaft ist es von enormer Bedeutung, die gemeinsamen Erfolge zu erfahren, sodaß jede und jeder motiviert ist, weiter an der Just Culture mitzuarbeiten.
6. Branchen die Just Culture anwenden
Aus der Luftfahrt haben die folgenden Industriezweige und Berufsfelder die Just Culture übernommen:
Das Gesundheitswesen, um Fehler, die zu Verletzungen, Erkrankungen und Tod von Patientinnen und Patienten führen können, bestmöglich zu vermeiden. Just Culture trägt dazu bei, die Patientensicherheit zu erhöhen.
Die maritime Seefahrt, um folgenschwere Schiffsunglücke, die viele Opfer fordern oder eine Umweltkatastrophe auslösen können, zu umgehen.
Der Schienenverkehr, in welchem Züge mit teilweise mehreren hundert Menschen an Bord eng getaktet auf dichten Schienennetzen unterwegs sind. Fehler in der Weichenstellung oder bei übersehenen Signalen hatten in der Vergangenheit fatale Konsequenzen.
7. In meinem nächsten Blogartikel lesen Sie:
Zu welchem größeren Themengebiet gehört Just Culture? Erfahren Sie es in meinem nächsten Blogartikel.
Frühere Blogartikel finden Sie auf der Blogseite unten verlinkt.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 28. Oktober 2021
Die Artikel werden nach einem Jahr von der Blogseite entfernt, aktualisiert, erweitert und in Bücher gefaßt. Diese können Sie auf der Seite „Eine CRM-Buchserie der besonderen Art“ direkt erwerben. Der erste Band wartet dort schon auf Sie: