Über einen A380 mit Triebwerksbrand und multiplen Funktionsausfällen sowie eine Mannschaft, die u. a. dank CRM die Notlandung erfolgreich meisterte, lesen Sie hier:
1. Der Abflug nach einem Zwischenstop in Singapore
1.1. Die Mannschaft um Kapitän de Crespigny
Im Cockpit des mächtigen A380 war man auf diesem Flug am 4. November 2010 zu fünft, was außergewöhnlich ist. Der Kapitän Richard de Crespigny, der an diesem Tag während seines Fluges einen Routinecheck durchlaufen sollte, wurde von seinem Ersten Offizier Matt Hicks unterstützt, als sein Zweiter Offizier fungierte Mark Johnson.
Weiterhin befanden sich an Bord der Pilot, der den Kapitän prüfen würde, Harry Wubben, und ein weiterer Prüfpilot, David Evans, der wiederum den prüfenden Piloten beobachten würde.
1.2. Die Maschine
Ein besonderer Airbus A380 der renommierten Fluglinie Qantas
Qantas, die renommierte australische Fluglinie, die ihren letzten tödlichen Flugunfall 1951 zu verzeichnen hat, taufte diesen A380 nach der legendären Flugpionierin Nancy-Bird Walton und stellte ihn 2008 feierlich in den Dienst.
Einige Zahlen und Daten
Ein stolzer Airbus A380 ist 72,73 Meter lang und verfügt über eine Flügelspannweite von 79,80 Metern. Das maximale Startgewicht beträgt 560 Tonnen, davon waren in diesem Fall 105 Tonnen Kerosin.
Über 500 Passagiere finden an Bord Platz, die Crew kann aus bis zu 35 Personen bestehen. Beim Qantas Flug 32 waren neben den fünf Piloten 440 Passagiere und 24 Crewmitglieder an Bord.
Die vier Triebwerke eines Airbus A380 können von zwei verschiedenen Herstellern stammen. In diesem Fall waren sie von Rolls Royce, Modell Trent 900.
1.3. Der Start des Airbus A380
In Singapore herrschte an diesem Novembertag perfektes Flugwetter mit Sonnenschein und mildem Wind. Der erste Teil der Route hatte von London hierher geführt. Nach einem zweistündigen Zwischenstop flog die neue Crew weiter nach Sydney.
Unmittelbar vor dem Start fragte Kapitän de Crespigny seine Mannschaft im Cockpit, ob jeder zufrieden sei: „Everyone happy?“ Sein Erster Flugoffizier Matt Hicks antwortete: „Yeah, just don´t crash.“
Nach einem unauffälligen Start von der mittleren Startbahn (20C) des Changi Airport in Singapore, stieg das Flugzeug problemlos in den Himmel mit Kurs nach Süden und flog zunächst über die Inseln Indonesiens.
2. Zwei kurze laute Geräusche an Bord des A380
Nur vier Minuten nach dem Start, bei einer Flughöhe von 7000 Fuß, ca. 2330 Meter, waren im Cockpit des Airbus A380 kurz hintereinander zwei laute Geräusche zu hören. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Maschine über der indonesischen Insel Batam.
Unmittelbar danach begann das Flugzeug zu vibrieren. Dies ist auch in Amateuraufnahmen der Passagiere zu sehen (dieser sehenswerte Film wurde auf YT hochgeladen).
Zunächst war völlig unklar, was die Geräusche verursacht hatte. Als erstes schaltete Kapitän de Crespigny den Autopiloten aus und brach den Steigflug ab, um das Flugzeug in eine gleichbleibende Flughöhe zu versetzen.
3. Rasch folgte eine Fülle von Ereignissen aufeinander
3.1. Ausfälle an Bord des A380
Das Triebwerk Nummer zwei, so wird das innere Triebwerk links bezeichnet, überhitzte. Die Meldung an die Crew erfolgte über ECAM, kurz für electronic centralised aircraft monitoring, also zentrale elektronische Überwachung des Flugzeuges.
Unmittelbar darauf begann ECAM in der entsprechenden Anzeigefläche in rascher Folge Unmengen an weiteren Fehlermeldungen anzuzeigen. Diese betrafen verschiedene Systeme des Flugzeuges und schienen zunächst keinerlei Zusammenhang zu haben.
Dann meldete ECAM, daß das Triebwerk zwei brannte. Kurz hintereinander fielen elektronische und hydraulische Systeme des Flugzeuges aus, darunter die Kontrolle über Bremsen, Vorflügel und Landeklappen sowie das Querruder.
3.2. Die Ausfälle lösten Streß aus
Die vielen akustischen und visuellen Alarme, die mit den Fehlermeldungen verbunden waren, und die zunächst anscheinend nicht zusammenhängenden Ereignisse lösten selbstverständlich Streß aus. Kapitän de Crespigny: „It was stressful, it was difficult“ (es war stressig, es war schwierig). Die Mannschaft mußte ad hoc den Streß beherrschen.
Gleichzeitig war den Beteiligten klar, daß sie alles aufbieten mußten, was sie je über das Fliegen gelernt hatten. Matt Hicks erzählte später im Interview was er sich sagte, nachdem er kurz an seine Familie zu Hause gedacht hatte: „Better do a decent job, otherwise I won´t come home“ (besser einen anständigen Job machen, sonst werde ich nicht nach Hause kommen).
Wie die Mannschaft vorging, wollen wir uns im Zusammenhang mit den folgenden CRM-Komponenten und Konzepten ansehen:
- Nutzung aller vorhandenen Resourcen, personell, materiell, innerhalb und außerhalb des A380
- Verteilung der Arbeitsbelastung
- situative Aufmerksamkeit
- Entscheidungsfindung
- Wissen, Können, Einstellung
- Kommunikationstechniken
- Bedrohungs- und Fehlermanagement
Die Quintessenz des CRM hat de Crespigny im folgenden wichtigen Satz zusammengefaßt:
4. Die Crew setzte wichtige CRM-Komponenten ein
Zunächst galt es, die Ursache für das Geschehen zu eruieren, einen Überblick über die Gesamtsituation zu gewinnen, das Flugzeug zu stabilisieren und auszutesten, wie sich die ausgefallenen Systeme auf die Manövrierbarkeit auswirkten.
Zudem war das weitere Vorgehen zu planen, es waren weitere Entscheidungen zu treffen sowie die Passagiere zu informieren und auf die Notlandung vorzubereiten, ohne Panik an Bord auszulösen.
Wie Sie sehen, existierten eine Fülle von Aufgaben, der die Crew so plötzlich gegenüberstand und die sie lösen mußte, um alle Seelen an Bord sicher auf den festen Boden zurückzubringen.
4.1. Sofortige Resourcennutzung als Team
Das Team im Cockpit nutzte seine Mitglieder als Resourcen und griff dabei auf die ungewöhnliche Besetzung mit fünf Piloten zurück. Es verteilte die Aufgaben sinnvoll, wie wir unter 4.2. sehen werden. Dadurch wurde zum einen Überblick über die Arbeitsbelastung möglich, gleichzeitig wurde sie so aufgeteilt, daß die Mannschaft sie stemmen konnte.
Auch andere Teams wurden eingebunden, darunter die Flugaufsicht am Flughafen in Singapore, das Kabinenpersonal, aber auch die Passagiere. Daß diese es schafften, in der Situation ruhig zu bleiben, war von essentieller Bedeutung.
Sofort wurde mit der Flugaufsicht in Singapore Kontakt aufgenommen und PAN PAN PAN erklärt, das internationale Zeichen dafür, daß das Flugzeug und die Insassen gefährdet sind, die Situation aber nicht unmittelbar lebensgefährlich ist.
Hilfe ist eine Resource: Welche Hilfe werden wir brauchen? Wo bekommen wir sie? Hilfe sollte frühest möglich angefordert werden, alle Beteiligten sollten frühestmöglich Bescheid wissen.
Des weiteren wurde mit dem Flughafen der Flug einer Warteschleife für ca. dreißig Minuten vereinbart, um die Meldungen des ECAM zu bearbeiten und den Rest des Fluges zu planen.
Vorausschauendes Handeln: Diese Warteschleife diente auch dazu, die Maschine innerhalb der Reichweite zu halten, aus welcher eine Landung durch reinen Gleitflug möglich ist, falls alle Systeme ausfallen sollten.
4.2. Verteilung der Aufgaben und der Arbeitsbelastung im Cockpit des A380
Aufgaben des Kapitäns und seines Ersten Offiziers
Kapitän de Crespigny würde das Flugzeug von Hand fliegen, er erklärte dies formell mit vorgesehenem Standardsatz: „I have control.“
Der Erste Flugoffizier Matt Hicks befaßte sich mit den Meldungen des ECAM. Davon tauchten insgesamt 58 Stück auf, was in der Geschichte der Luftfahrt erstmalig war. Im Training wird die Bearbeitung zweier bis dreier solcher Meldungen hintereinander geübt.
Während Matt Hicks die ECAM Meldungen bearbeitete, kommunizierte er relevante Informationen mit der Mannschaft und führte Aktionen aus, wie zunächst das Abschalten und später das Löschen von Triebwerk zwei über integrierte Mechanismen.
Der direkte Blick auf das Triebwerk Nummer zwei
Der Zweite Offizier Mark Johnson verschaffte sich einen direkten Blick auf den linken Flügel, welcher vom Cockpit aus nicht zu sehen ist, indem er in der Passagierkabine aus dem Fenster sah.
Die Tragfläche wies Löcher auf, darunter eines, durch das ein Mensch gepaßt hätte. Das Flugzeug verlor deutlich an Kerosin. Das hintere Stück der Triebwerkummantelung fehlte.
Zurück im Cockpit teilte er seine Beobachtungen den übrigen Mitgliedern der Mannschaft mit. Es wurde klar, daß das Triebwerk Schaden genommen hatte und sich dabei Teile gelöst haben mußten, die verschiedene Leitungssysteme zerstört hatten.
Die Berechnung der Landung
Der erfahrene Prüfpilot David Evans berechnete die benötigte Länge der Landebahn beim vorliegenden Gewicht des Flugzeugs, das bislang kaum Kerosin verbraucht hatte. Zunächst zeigte das Rechenprogramm an, daß eine Landung unmöglich sei.
Nach Besprechung im Team und Änderung der Parameter reichte es auf 100 Meter genau aus, bei einer Landebahnlänge von vier Kilometern. Hierzu mußte auch die Geschwindigkeit beim Landeanflug genau gesteuert werden. Bei zu schnellem Anflug wäre das Flugzeug über die Landebahn hinausgeschossen, bei zu langsamem Anflug in der Luft stehengeblieben und aus dem Himmel gefallen.
Die Zusammenarbeit mit dem Kabinenpersonal und den Passagieren
Zusätzlich informierte David Evans vom Cockpit aus die Passagiere in mehreren Ansagen. Auch der Customer Service Manager in der Kabine, Michael von Reth, ist von Anfang involviert. Seine Rolle in der Betreuung der Passagiere war wesentlich, damit diese die Ruhe bewahrten.
4.3. Entscheidungsfindung
Nach den initialen Geräuschen und dem dramatischen Ausfall von Triebwerk zwei, dem Einschlagen herumfliegender Triebwerksteile u. a. in den linken Flügel und dadurch bedingtes Zerreißen wichtiger elektrischer und hydraulischer Leitungen, waren eine Fülle von Entscheidungen nötig, um das Flugzeug auf den sicheren Boden zurückzubringen.
U. a. die Folgenden hat die Crew in kurzer Zeit getroffen:
- sofortiger Abbruch des Steigfluges und Anstreben der gleichbleibenden Flughöhe
- Warteschleife für 30 Minuten, um ECAM Meldungen zu bearbeiten und zu planen
- Fliegen einer vorsichtigen Linkskurve, um zu sehen, wie das Flugzeug reagiert
- wer welche Aufgaben übernehmen würde
- die Rückkehr zum Flughafen Singapore und Anforderung der längsten Landebahn
- Anforderung der Flughafenfeuerwehr wegen des Kerosinverlustes
Zwischenzeitlich wurden auf der Insel Batam in Indonesien Teile des A380 gefunden, die zum Triebwerk und dessen Ummantelung gehören. Darauf ist das legendäre Känguruh der Fluglinie zu sehen. Die Flugaufsicht Indonesiens meldete den Fund an die Flugaufsicht in Singapore, welche die Mannschaft des Qantas Fluges 32 informierte.
Kapitän de Crespigny entschied sofort, daß er sich mit dieser Meldung nicht weiter befassen könne. Er konnte diesbezüglich in dem Moment nichts unternehmen. Zusammen mit seiner Mannschaft mußte er sich vielmehr um die Probleme an Bord und die Notlandung kümmern.
4.4. Situative Aufmerksamkeit im Cockpit des A380
Wie Sie wissen, gehören zur situativen Aufmerksamkeit das räumliche und zeitliche Bewußtsein in der aktuellen Lage sowie das Bewußtsein über alle verfügbaren Informationen sowie die materiellen und personellen Resourcen.
Die Crew war sich u. a. folgender Informationen und Resourcen bewußt und nutzte sie aktiv:
- räumlich: Entfernung zum Flughafen in Singapore, Flughöhe, Entfernungen und Flughöhen für die Notlandung
- zeitlich: wieviel Zeit nehmen wir uns um zu planen, was ist zu lange und könnte Probleme verursachen
- Informationen: welche Fehlermeldungen gibt es, was ist die Ursache, was wurde zerstört, was funktioniert, aktuelles Gewicht des Flugzeuges, Wetterbedingungen, inclusive Windrichtung und -stärke
- Resourcen: Piloten und deren Expertise, übrige Crew an Bord, Flugaufsicht und Möglichkeiten am Flughafen in Singapore, noch vorhandene Computersysteme an Bord (z. B. Berechnung der Landung), funktionierende Systeme an Bord
5. Wissen, Können und Einstellung
Wissen, Können und Einstellung eines jeden Teammitgliedes sind essentiell für die gemeinsame Arbeit, damit Resourcen effizient genutzt werden können.
5.1. Das summierte Wissen an Bord des A380
Den Wert des summierten Wissens an Bord hatte Kapitän de Crespigny betont, als er sagte „…to make one massive brain and then use the intelligence to resolve problems…“.
Das Wissen an Bord umfaßte u. a.:
- generelles Wissen über das Fliegen
- die allgemeinen Daten und Fakten über das Flugzeug
- den aktuellen Status des A380
- welche elektrischen Leitungen und Hydrauliksysteme sich wo befinden
- wie sich somit die Ausfälle erklären ließen
- wie die noch vorhandenen Resourcen genutzt werden konnten
- welche Landebahn und Resourcen am Boden für eine solche Notlandung nötig waren
- wo man diese Resourcen finden konnte, hier nächster Großflughafen Singapore
5.2. Das fliegerische Können
Neben dem Wissen war auch praktisches Können von höchster Bedeutung, um das lädierte Flugzeug erfolgreich zu steuern und notzulanden:
- vorsichtige Linkskurve um auszuprobieren, wie das Flugzeug reagieren würde
- kurz vor der Notlandung vorsichtiges Rollen des Flugzeuges um die Längsachse nach links und rechts
- vorsichtiges Regulieren der Schubkraft, um die Geschwindigkeit exakt zu steuern
- erfolgreiches Aufsetzen des beschädigten Flugzeuges auf der Landebahn
5.3. Ebenso unabdingbar: Die Einstellung
Hier fällt die Teamorientierung auf. Wir sehen, daß die vorhandenen Fähigkeiten sofort gebündelt wurden: Das Wissen wurde wie in einem riesigen Hirn zusammengesammelt, und insgesamt wurde CRM vielfältig eingesetzt.
6. Kommunikation innerhalb und außerhalb des A380
Klare und eindeutige Kommunikation war sowohl innerhalb der Mannschaft wie auch mit den anderen beteiligten Teams entscheidend für den Erfolg.
Wir sehen uns zunächst an, welche Kommunikationstechniken verwendet wurden. Daran anschließend werden wir beleuchten, wieviele verschiedene Parteien in diesem Fall miteinander kommuniziert haben.
6.1. Kommunikationstechniken
Speak up
Hierfür finden sich folgende Beispiele. Matt Hicks machte seinen Kapitän während des Landeanfluges auf die jetzt so wichtige Geschwindigkeit aufmerksam, „watch your speed“ (achte auf deine Geschwindigkeit). Unmittelbar nach dem Aufsetzen forderte er seinen Kapitän mehrfach auf, maximal zu bremsen: „Brakes, Rich, brakes“ (Bremsen, Rich, Bremsen).
Geschlossene Kommunikationsschleifen
Ausgesprochen und entsprechend rückbestätigt wurde z. B. der Gebrauch des integrierten Feuerlöschers im Triebwerk zwei sowie das Ausfahren des Fahrwerkes vor der Notlandung.
Standardsätze
Wie oben schon erwähnt, klären Piloten z. B. unter sich unmißverständlich, wer das Flugzeug fliegt: Entweder mit „I have control“, „ich habe die Kontrolle“ oder mit „you have control“, „Sie haben die Kontrolle“, was entsprechend rückbestätigt wird.
Regel des sterilen Cockpits
In bestimmten Phasen des Fluges, erst recht in einer Notfallsituation, herrscht die Regel des sterilen Cockpits. Sie besagt, daß sich die Kommunikation nun ausschließlich um den Flug, die aktuelle Situation und anstehende Aufgaben drehen darf. Über private Belange zu sprechen, ist strikt verboten.
6.2. Wer mit wem kommunizierte
Wenn man sich auf die Ereignisse im Cockpit konzentriert, so fällt zunächst nicht auf, wieviele verschiedene Parteien hier involviert waren und kommunizierten.
Im Einzelnen kommunizierten miteinander:
- die Mannschaft im Cockpit untereinander
- die Mannschaft im Cockpit mit dem Kabinenpersonal und mit den Passagieren
- die Mannschaft im Cockpit mit der Flugaufsicht am Flughafen in Singapore
- die Flugaufsichten von Indonesien und Singapore untereinander
- die Flugaufsicht in Singapore mit der Flughafenfeuerwehr
- das operative Zentrum von Qantas, das seine Flotte live überwacht, mit der Flugaufsicht in Singapore, (die Kommunikation über Satellit mit dem Cockpit war ebenfalls den zerstörten Leitungen zum Opfer gefallen)
All das war wichtig und mußte koordiniert werden, um die erfolgreiche Notlandung vorzunehmen bzw. zu unterstützen.
7. Bedrohungs- und Fehlermanagement im Cockpit des A380
Im Crew Resource Management werden die Vermeidung, aber auch der Umgang mit dennoch entstandenen Bedrohungen und Fehlern geübt, um die Sicherheit weiter zu erhöhen. Eine Bedrohung oder Gefahr kann auch durch einen Fehler erwachsen, der im Vorfeld gemacht wurde und von der Crew nicht beeinflußt werden kann.
Auf dem Qantas Flug 32 waren die Mannschaft und mit ihr alle an Bord durch das zerstörte Triebwerk und die nachfolgenden Ausfälle in ernsthafter Bedrohung, ohne daß jemand während des Fluges einen Fehler gemacht hatte.
Nun mußte die Mannschft mit der bereits vorhandenen Bedrohung, die durch Streß auch das Risiko für nachfolgende Fehler erhöhte, umgehen.
Dies gelang zum einen durch Vorbereitung, u. a.:
- konsequentes Üben von CRM
- Umgang mit Streß unter Anwendung von CRM
- Üben des Umganges mit Triebwerksausfällen und -bränden im Simulator
- Trainieren der Notlandung u. a. m. im Simulator
- Bearbeiten von ECAM Meldungen während einer Simulation
Doch nicht alles kann vorbereitet werden. Wie oben schon erwähnt, lagen erstmalig in der Geschichte der Luftfahrt 58 ECAM Meldungen hintereinander vor. Es dauerte insgesamt fünfzig Minuten, diese zu bearbeiten, um den jeweils nächsten Schritt angehen zu können.
Wesentlich war auch deshalb das direkte Handeln in der Situation:
- Verteilung der Arbeitsbelastung
- Umgang mit dem Streß im Hier und Jetzt
- Gewinnung und Verarbeitung von Informationen
- darauf aufbauende Entscheidungsfindung
- Kommunikation
- Nutzen von vorhandenem Wissen, Können und Einstellung sowie aller Resourcen
8. Die Notlandung in Singapore
8.1. Vorbereitung des A380 zur Landung
Das Hydrauliksystem des Fahrwerkes war ebenfalls defekt. Die Mannschaft ließ ihr Fahrwerk manuell herunter und konnte nur hoffen, daß die Schwerkraft es an seinen Platz ziehen würde. Dies dauerte ganze zwei Minuten, gelang aber glücklicherweise.
Das Kabinenpersonal und die Passagiere mußten rasch darauf vorbereitet werden, daß es eine harte und schnelle Landung werden würde. Die Mitarbeit aller in der Kabine war essentiell.
Kurz vor der Landung wurde mit dem Rollmanoeuver nach links und rechts um die Längsachse des Flugzeuges die Kontrolle über das Querruder ausprobiert. Sie war stark eingeschränkt, vor allem beim Rollen nach rechts.
Der Kapitän fragte noch einmal, ob nichts übersehen worden war. Nach der Rückbestätigung des Teams setzte er zur Landung an. Dabei mußte er die Geschwindigkeit durch Regelung der Schubkraft auf wenige Knoten genau steuern (1 Knoten entspricht 1,852km/h).
8.2. Die eigentliche Landung
Nach dem Aufsetzen auf der Landebahn brachte de Crespigny die Vorderräder schnellstmöglich auf die Landebahn, um zu verhindern, daß Reifen durch fehlenden Bodenkontakt bei der Bremsung explodieren würden. Eine solche Explosion ist nur eine Frage von Sekundenbruchteilen.
Durch den Ausfall des Bremssystems war nur manuelles Bremsen möglich. Matt Hicks forderte seinen Kapitän mehrfach auf, hart zu bremsen, da das Flugzeug kaum langsamer zu werden schien. Dieser entgegnete, maximal auf dem Bremspedal zu stehen, was der Blick nach unten bestätigte.
Kapitan de Crespigny sah die Feuerwehr bereitstehen, visierte sie an: „they were my friends“ (sie waren meine Freunde). Der riesige A380 kam hundert Meter vor dem Ende der Landebahn genau bei den Löschfahrzeugen zum Stehen.
8.3. Die Gefahr war noch nicht gebannt
Die Passagiere und die Crew waren schon in diesem Moment unglaublich froh. Doch die Gefahr war nach dieser grandiosen Notlandung noch nicht gebannt. Kerosin lief in großen Mengen aus der linken Tragfläche, die Bremsen direkt darunter waren über 900 Grad Celsius heiß. Unnötig zu erwähnen, welche Folge das hätte haben können.
Über eine codierte Meldung an das Kabinenpersonal wurde alles für eine Notevakuation vorbereitet. Dabei müssen alle an Bord befindlichen Personen binnen neunzig Sekunden das Flugzeug verlassen haben.
Das linke äußere Triebwerk, Nummer eins, war nur durch Löschschaum nach mehreren Stunden abzuschalten.
Erst nach zwei Stunden konnten die Passagiere sicher über die rechte Seite des Flugzeuges evakuiert werden. Die Erleichterung war genzenlos. Ein Passagier erzählte später: „I was thinking of kissing the ground“ (ich überlegte, den Boden zu küssen).
Im Chaos dieses erstmaligen Ereignisses in der Luftfahrt halfen der Crew strukturiertes CRM, effiziente Kommunikation sowie Wissen, Können und Einstellung, den Streß zu beherrschen und die Notlandung zu meistern.
9. Sind der A380 und seine Triebwerke sicher? – Die Aufarbeitung
9.1. Begutachtung des Schadens direkt nach der Landung
Nach Verlassen der Maschine sahen sich die Piloten das Triebwerk an. Vom Anblick waren sie schockiert. Die Ummantelung hinten fehlte, der hintere Teil des Triebwerkes wurde nur noch vom Turboschaft an seinem Platz gehalten. Die Spuren des Brandes waren zu sehen, ebenso die Defekte in der Tragfläche und im Übergang der Tragfläche zum Rumpf.
9.2. Inspektion der Teile des A380 in Indonesien
Sofort nach dem Fund der Triebwerksteile auf der Insel Batam, deren Aufprall glücklicherweise keine Opfer am Boden gefordert hatte, wurden Spezialisten des Australian Transport Safety Bureau, ATSB, entsandt, um die Untersuchungen zu beginnen.
Ein Teil der über 200 Kilogramm schweren Turbinenscheibe befand sich unter den Trümmern. Ein blauer Rand daran deutete darauf hin, daß ein ausgelaufener Schmierstoff die Ursache für die Explosion des Triebwerkes gewesen sein könnte.
Der Fund der Teile bestätigte ein sogenanntes uncontained engine rotor failure, UERF, also einen Defekt, bei dem die zerrissene Turbinenscheibe aus dem Triebwerk herausflog und dabei unter anderem den Flügel durchschlug und die Leitungen zerstörte.
Glücklicherweise wurde der obere Teil des Flugzeugrumpfes nicht vom durch den Flügel katapultierten Teil der Turbinenscheibe und anderen Trümmern getroffen. Er ist nicht dafür konstruiert, einem solchen Aufprall zu widerstehen.
9.3. Untersuchung des Triebwerkes in Singapore
Die Maschine wurde in den Hangar Nummer sechs gezogen. Dort wurde das Triebwerk auseinandergenommen, bis die Techniker die Ausgangsstelle des Brandes einsehen konnten.
Es wurde eine undichte Ölleitung gefunden, aus der Schmieröl auf heiße Triebwerksteile ausgelaufen war und sich dann entzündet hatte. Teile der Turbinenkonstruktion überhitzten in der Folge, die Turbinenscheibe drehte unkontrollierbar schnell und zerbarst schließlich.
9.4. Die Ursache für die undichte Stelle
Ursache für das Ölleck war ein Stutzen, der in einer schrägen Bohrung saß und zusätzlich eine zu dünne Wand hatte. Durch die Belastung bei mehreren Starts auf kurzen Startbahnen hatte er bereits Risse entwickelt. Auf dem Qantas Flug 32 wurde er komplett undicht, und der Schmierstoff lief aus.
Hier lag also der Fehler, der sich zur Bedrohung der Mannschaft und aller Passagiere während des Fluges entwickelt hatte.
9.5. Konsequenzen für die Nachrüstung und Wartung der Rolls Royce Triebwerke
Der nur fünf Zentimeter lange Stutzen war nicht für das Triebwerk geeignet gewesen. Alle Triebwerke derselben Bauart mußten entsprechend nachgerüstet werden. Zudem ergriff Rolls Royce Maßnahmen, um einen Triebwerkschaden, bei dem Teile aus dem Triebwerk herausfliegen, zu verhindern. Auch das Qualitätsmanagement wurde verbessert.
Die akribische Aufarbeitung der Usache hatte auch nach diesem Zwischenfall dazu beigetragen, ein erneutes Ereignis derselben Art zu verhindern und somit das Fliegen ein weiteres Stück sicherer zu machen.
10. In meinem nächsten Blogartikel lesen Sie:
In diesem Artikel haben wir den erfolgreichen Umgang mit Bedrohungen und Fehlern bereits angerissen und wir werden das Thema im nächsten Artikel vertiefen.
Zusätzlich werden wir uns ansehen, was ein unerwünschter Zustand eines Flugzeuges ist. Wie kommt es dazu? Welche Konsequenzen drohen? Was können wir für unsere Arbeit daraus lernen?
Frühere Blogartikel finden Sie auf der Blogseite unten verlinkt.
Autorin: Eva-Maria Schottdorf
Datum: 8. Juni 2021